Selbst- & Co-Regulation in Schulen - Es fängt bei dir an!
„Selbst- & Co-Regulation hab ich doch mal gehört… Was war das nochmal?“
Vielleicht denkst du bei diesen Begriffen an Babys und Kleinkinder, die sich noch nicht selbst regulieren können und auf die feinfühlige Zuwendung einer Bezugsperson angewiesen sind.
Vielleicht fällt dir jetzt auch die Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth ein.
Vielleicht denkst du an Emotionsregulation, Impulskontrolle oder „verhaltensauffällige“ Kinder?
Aber denkst du dabei auch an dich? An deine gut entwickelte (oder vielleicht doch nicht so gut entwickelte) Fähigkeit zu Selbst- & Co-Regulation?
Klar, die Fähigkeit sich selbst, die eigenen Emotionen zu regulieren (nicht zu kompensieren!) d.h. sie
- wahrzunehmen
- zu fühlen
- zu spüren
- zu benennen
- zu beschreiben
also sie anzunehmen und zu verkörpern, ohne von ihnen überwältigt zu werden, sondern situationsangemessen und konstruktiv zu reagieren, lernen wir (im besten Fall) maßgeblich in unserer Kindheit.
Häufiger als uns lieb und bewusst ist oder wir zugeben wollen, konnte sich die eigene Selbstregulationskompetenz nicht ideal entwickeln. Denn je nachdem welche Erfahrungen wir mit unseren Bindungspersonen gemacht haben:
- einfühlsame, verlässliche und co-regulierende Zuwendung
- Unberechenbarkeit: z.B. Du wusstest nie genau, wie deine Eltern reagieren werden. Mal waren sie liebevoll und tröstend, mal hart und abweisend.
- Bezugspersonen waren ängstigend, strafend, verurteilend, körperlich oder emotional abwesend
- Liebe, Zuwendung und Anerkennung wurden an Bedingungen geknüpft
- Überforderung: zu frühe oder zu große Verantwortungsübernahme #Parentifizierung
- …
wird unser Gehirn geprägt. Also neuronale Netzwerke von gemachten Erfahrungen, Bindungsmuster (als Blaupause für jede zukünftige zwischenmenschliche Beziehung), Kompensations- und Schutzstrategien (Umgangsweisen mit Stressoren bzw. subjektiv empfundener Bedrohung), Glaubenssätze, autonome Profile (Stresstoleranzfenster), habituelle Muster und ggf. Traumafolgen entstehen.
Selbstregulation ist eine ganzheitliche Kompetenz, die alle unsere Seins-Ebenen „Körper-Psyche-Geist (Kognition)“ betreffen und niemals alleine über nur eine Ebene nachhaltig erreicht werden kann. Ein einseitiger Versuch wäre vielmehr eine willentliche Unterdrückung (Kontrolle) von z.B. Gefühlen oder eine unwillkürliche Unterdrückung bzw. Abspaltung (Dissoziation) von z.B. Körperempfindungen. In beiden Fällen kann die durch den Sympathikus (des autonomen Nervensystems) mobilisierte Energie nicht verstoffwechselt werden, also nicht reguliert werden. Eine fragile Selbstregulation kann eine Zeit lang auch mit Kompensationsstrategien erreicht werden, die sich aber langfristig oder bei zunehmendem Stress abnutzen oder auch destruktiv wirken z.B. Alkohol, am Handy „daddeln“, shoppen, „Binge-Watching“… als Versuch/Möglichkeit sich zu entspannen und abzuschalten oder der Drang, ständig beschäftigt zu sein, übermäßig viel Sport zu machen, um nicht fühlen zu müssen.
Wenn sich unsere Selbstregulationskompetenz nicht ganzheitlich entwickeln konnte, weil unsere Bindungspersonen uns nicht gut co-regulieren konnten, weil sie selbst nicht über eine ausreichend vorhandene Fähigkeit zur Selbstregulation verfügten (wiederrum aufgrund ihrer eigenen Prägungen und Bindungsmuster), können wir andere Menschen in der Folge auch oft nicht konstruktiv co-regulieren. Du ahnst, wie es weitergeht…
Kinder sind auf Co-Regulation genuin angewiesen, um sich sicher zu fühlen und innerhalb ihres Stresstoleranzfensters bleiben zu können.
Ohne positive Co-Regulations-Erfahrungen entwickelt sich keine Selbstregulations-Kompetenz, keine Resilienz, keine gesunde kognitive Leistungsfähigkeit, keine Potenzialentfaltung, kein gesundes Selbstbild, keine Empathie und keine Mitmenschlichkeit.
Unbefriedigende Co-Regulationskompetenzen begegnen uns leider noch viel zu oft in Schulen und anderen pädagogischen Kontexten. Pädagogisches Fachpersonal ist sich den eigenen Prägungen, Bindungsmustern, Kompensationsstrategien und Schutzreaktionen oft nicht ausreichend bewusst und reagiert nicht immer sinnvoll co-regulierend auf Bedürfnisse, Verhalten, Äußerungen, sichtbare Körperreaktionen ihrer Schütztlinge, sondern defensiv, negierend, konditionierend oder manipulierend (zeigst du das Verhalten, das ich mir wünsche, obwohl es vielleicht sogar schlecht für dich ist oder nicht deiner neurobiologischen Natur #neurodiversität entspricht, dann belohne ich dich oder bestrafe dich, falls du es nicht tust).
Nicht selten können SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen, KollegInnen, Umgebungen zum Trigger werden und Defensivreaktionen, destruktives Verhalten oder Überlebensreaktionen (fight/flight/shut-down) auslösen, die die Situation verschlimmern, das Gegenüber ängstigen oder verärgern. Das passiert häufig, wenn eigene Erfahrungen nicht ausreichend bewusst und integriert sind.
Um ganzheitliche Bildungsprozesse anzustoßen und zu begleiten, brauchen wir zum einen Erwachsene, die:
- sichere Bindungsmuster früh internalisiert oder nachgelernt haben (über korrigierende Erfahrungen und Persönlichkeitsentwicklung)
- dementsprechend co-regulieren können
- sich ihren eigenen Prägungen bewusst sind, ihre Trigger und Schutzstrategien kennen und sich bewusst Zeit nehmen für Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung
- regelmäßig die eigene Selbstregulationskompetenz trainieren
- für andere nicht zur Bedrohung werden
Zum anderen brauchen wir und Bildungseinrichtungen:
- ein Bewusstsein dafür, dass Selbst- & Co-Regulation eine biologische Notwenigkeit ist
- strukturell verankerte und individuelle Möglichkeiten für Selbst- & Co-Regulation: Zeiten, Räume, Angebote und Menschen
Wie sieht es mit der Selbst- & Co-Regulation bei dir und in deiner Schule / pädagogischen Einrichtung aus? Wie gut kannst du dich regulieren? Gelingt es dir, andere zu co-regulieren? Woran merkst du das? Was habt ihr etabliert? Was fehlt? Ist überhaupt schon ein Bewusstsein dafür da?
Wenn du mehr über Selbst- & Co-Regulation und die Sprache unseres Nervensystems wissen möchtest, komme ich gerne zu euch für eine Fortbildung, Workshop oder Beratung.
Du kannst auch gerne ein digitales 1:1 Coaching bei mir buchen, wenn du dich persönlich entwickeln möchtest.
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